Archiv
Netzwerk - Navigator zur Startseite
Sie befinden sich hier: StartseiteArchiv

Archiv

Jahresbericht 2003 (.pdf, 1,3 MB)
Kuzbeschreibung des Schulversuchs
PowerPoint-Präsentation über das Netzwerk Ende 2003 (51 kB)
Vortrag Dr. Petra Gehrmann
Grußwort des Staatsekretärs des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg
Vortrag auf der bundesweiten Fachtagung zum "Gemeinsamen Unterricht in der Grundschule und in der Sekundarstufe I" am 16. April 02

Logo der Grunschule Birkenwerder
Grundschule
Birkenwerder

Zwei zeitgemäße und pädagogisch moderne Schulen entstehen!

Logo der Gesamtschule Birkenwerder
Gesamtschule
Birkenwerder


In den vergangenen Jahren haben wir intensiv und mit allen, die für die Schulen in Birkenwerder Verantwortung tragen, über ein neues Schulmodell nachgedacht. Seit dem 1. August 1999 ist es Wirklichkeit: Es gibt nun nicht mehr vier, sondern zwei Schulen im Ort: eine integrativ - kooperative Grundschule und eine integrativ - kooperative Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe. Die Kinder, die vorher in den Förderschulen für Körperbehinderte lernten, gehören jetzt zu der Grundschule und zu der Gesamtschule und erhalten dort ihre besondere pädagogische und therapeutische Förderung.

Das Land Brandenburg, der Landkreis Oberhavel und die Gemeinde Birkenwerder finanzieren den Um- und Ausbau der beiden alten Schulhäuser. Die beiden neuen Schulen stehen auch pädagogisch auf sicherem Fundament. Unser Schulmodell wurde seitens des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport als "Landesschulversuch" genehmigt. Hier ein Auszug aus dem Genehmigungsschreiben:

"Gegenstand des Versuchs ist die Entwicklung und Erprobung einer neuartigen schulorganisatorischen Form der gemeinsamen Beschulung körperbehinderter und nicht körperbehinderter Schülerinnen und Schüler in einer Grundschule und in einer Gesamtschule sowie der damit verbundene Steuerungs- und Kooperationsprozess. Die Kombination von Lernen in Kooperationsgruppen in den Jahrgangsstufen 4 - 10 als neue Differenzierungsform mit Lernen in Klassen mit zielgleichem und zieldifferentem gemeinsamen Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf bildet den Schwerpunkt des Versuchs." (Schreiben des MBJS vom 04.11.98)


Für die Laufzeit des Schulversuchs wurden uns schulrechtliche Abweichungen genehmigt:

Der Schulversuch hat am 1.08.1999 begonnen und endete am 31.07.2005. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU - Berlin und der UNI - Potsdam stehen uns beratend bei der Umsetzung unseres besonderen pädagogischen und schulorganisatorischen Modells zur Seite.

nach oben


Vortrag Dr. Petra Gehrmann


Dr. Petra Gehrmann
Vortrag anlässlich der 5. landesweiten Fachtagung zu integrativ-kooperativen Schulen im Land Brandenburg am 15.03.03

Integrativ-kooperative Arbeitskonzepte: Denkanstöße aus der Sicht der wissenschaftlichen Begleitung

1. Einleitung
Ich spreche heute zu Ihnen als Gast und zwar als Gast im doppelten Sinne: Einerseits bin ich zu Gast aus einem anderen Bundesland, dem Bundesland Nordrhein-Westfalen, welches eine lange Integrationstradition hat, die bis in die frühen 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückreicht, sich aber heute deutlich schwerer tut mit der Entwicklung innovativer Konzepte zur Weiterentwicklung des gemeinsamen und auch des kooperativen Unterrichts als Ihr Bundesland. Und zum anderen bin ich seit nunmehr gut zwei Jahren regelmäßig zu Gast in den beiden Kollegien der Grund- und Gesamtschule Birkenwerder.
Die heutige Bedeutung des Wortes "Gast" hat sich aus der alten Bedeutung "Fremdling" entwickelt. Die Wurzel beider Wörter liegt im lautlich genau entsprechenden lat. Wort "hostis". In früherer Zeit war der Platz eines Gastes vor den Toren des eigentlichen Hauses. Ich möchte mich an dieser Stelle einmal bei allen Beteiligten der beiden Schulen herzlich dafür bedanken, dass Sie mich als "Fremdling" nun schon im dritten Jahr in Ihr Haus des Lernens aufgenommen haben. Besonders bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei denjenigen Lehrerinnen, Lehrern und auch den Kindern, die mich in den letzten Jahren bereitwillig in ihrem Unterricht aufgenommen haben. Ich hoffe, dass ich bisher für die meisten - auch mit meinen jährlich abgegebenen schriftlichen Berichten über diese Besuche - eher ein lieber und angenehmer Gast, denn ein lästiger und unangenehmer Gast war.

2. Kritische Standortbestimmung anhand des Modells von Reynolds
Für den heutigen Vortrag bin ich gebeten worden aus meiner Sicht Denkanstöße für eine Weiterentwicklung integrativ-kooperativer Arbeitskonzepte zu geben, die auch für die zahlreichen interessierten Gäste anderer Schulen von Interesse seien können. Beginnen möchte ich hierbei mit einer Standortbestimmung der derzeitig vorherrschenden organisatorischen Arbeitsweisen an der Grund- und Gesamtschule in Birkenwerder vor dem Hintergrund der Verschiedenheit bestehender integrativer Modelle. Hierbei unterscheidet sich das vorliegende Spektrum der ausdifferenzierten institutionellen Organisationsformen vor allem hinsichtlich des notwendigen Ausmaßes der Separierung der Kinder mit Behinderungen auf der einen Seite und den Möglichkeiten der Integration auf der anderen Seite, eine Frage, die zunehmend häufiger in den Arbeitssitzungen beider Schulen in Birkenwerder diskutiert wird. In meinen Überlegungen der Einordnung bisheriger Arbeitsweisen möchte ich an ein altes Modell von Maynard C. Reynolds aus dem Jahre 1962 anknüpfen, welches die verschiedenen Formen der Integration und Separierung sowohl in Bezug auf den Grad der spezialisierten Förderung von Kindern mit Behinderungen als auch in Bezug auf das absolute Vorkommen unterscheidet.
>>>>>> Folie: Special Education Programs

Reynolds geht bei seiner Triangel der Förderung oder besser Bildung von Kindern mit Behinderungen davon aus, dass es verschiedene Organisationsformen der Bildung geben sollte, die unterschiedlich häufig zum Einsatz kommen. Die Häufigkeit hat Reynolds durch die Breite der Pyramide zum Ausdruck gebracht. So ist die Pyramide bei der Organisationsform am breitesten, die die Mehrzahl der Kinder mit Behinderungen aufnimmt (regulärer Klassenraum ohne weitergehende zusätzliche Unterstützung) und somit die am häufigsten vorkommende Variante ist. Am schmalsten ist die Triangel an der Spitze, nämlich bei der Organisationsform, die rein zahlenmäßig am geringsten nachgefragt wird (Krankenhaus). Maßgeblich für die aktuelle Zuordnung eines Kindes ist primär die Schwere seiner Behinderung, wobei hier andere Faktoren auch eine Rolle spielen sollten. Dabei ist stets darauf zu achten, dass eine spezielle Maßnahme überprüft und in eine weniger spezielle Maßnahme rückgeführt werden kann. Die inhaltlichen Leitlinien bei dieser Zuordnung zu einer Organisationseinheit sind hierbei:
- die räumliche Entfernung oder Distanz soweit als nötig oder möglich zu beschränken und - die Rückkehr aus einer stärker separierenden Organisationsform in die jeweils nächste integrierende Organisationsform so bald als möglich vorzunehmen.
Deutlich geworden ist, dass das hier vorgestellte Modell einerseits stark temporär angelegt ist und andererseits aber auch sehr stark am Prozess des einzelnen Kindes orientiert und ausgerichtet ist.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund die derzeitigen Organisationsformen im integrativ-kooperativen Schulversuch in Birkenwerder, so lassen sich vier der genannten Organisationsformen des Modells erkennen. Dies ist zum einen die Vollzeit Spezialklasse (hier: A-Klasse ohne oder mit eingeschränkter unregelmäßiger Kooperation), die Teilzeit Spezialklasse (hier: die A-Klasse mit regelmäßiger verlässlicher Kooperation) und der Unterricht im regulären Klassenraum mit Beratung (hier: die i-Klassen mit sonderpädagogischer und anderer unterstützender Beteiligung) sowie der Unterricht im Klassenraum ohne eine zusätzliche Ressource (i-Klassen, etwa in Form von Grundkursen ab der 8. Jahrgangsstufe).
Sie sehen, dass die vorhandenen Organisationsformen sehr vielfältig sind. Die Chancen einer derartigen Organisationsvielfalt, wie sie in Birkenwerder anzutreffen sind, liegen vor allem
  1. in der Flexibilität zum Wohle des Kindes aber auch
  2. in den Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Regel- und Förderlehrer sowie der Zusammenarbeit von guten und weniger guten Schülern.

Die Stärke der Vielfalt ergibt auf der anderen Seite aber auch neue Problemstellungen, beispielsweise in Bezug auf die Flexibilität (Herausforderung1). So ist insbesondere die Koordination des kooperativen Unterrichts der so genannten a- und b-Klassen ein in jedem Schuljahr stets von neuem zu bewältigendes logistisches Problem. Die hauptsächlichen Herausforderungen bestehen auf der Seite der Schulleitung sowohl darin maximale räumliche Nähe zwischen beiden Klassen herzustellen und darüber hinaus den Fachunterricht, insbesondere in der Gesamtschule so zu planen, dass in beiden Klassen nach Möglichkeit die betreffenden Fachlehrer dort auch zur gleichen Zeit unterrichten. Darüber hinaus werden höhere Anforderungen an die Zusammenarbeit (Herausforderung 2) der einzelnen Lehrer gestellt, die ihren Unterricht nach Möglichkeit für ein ganzes Schuljahr in Absprache mit einem Kollegen/einer Kollegin planen sollten. Beide Anforderungen, die der vermehrten Flexibilität und auch der Zusammenarbeit, gelten im Übrigen auch für die Schüler der einzelnen Klassen, die an einem Vormittag andere Gruppengrößen und auch Arbeitspartner zu bewältigen haben.
Als kritisch hat sich darüber hinaus die nach wie vor stattfindende Selektion der Schüler und ihre prozessorientierte Begleitung herausgestellt, denn durch die Zuordnung in A-/B-Klassenschüler sowie die Festlegung, welcher Schüler noch Integrationsschüler sein kann und welcher nicht mehr bei gleichzeitig festgelegter Anzahl von Integrationsschülern pro Klasse haben sich im Prozess der Entwicklung (bis zur Fachleistungsdifferenzierung in den 8. Klassen) spezifische Probleme der Selektion ergeben, die sicher noch weiter diskutiert und beobachtet werden sollten. Ich komme nunmehr zum zweiten inhaltlichen Punkt meines Beitrages, den Stimmen aus den Kollegien und den Schülerstimmen beider Schulen zum Schulversuch.

3. Stimmen aus den Kollegien und Stimmen der Schüler zum integrativ-kooperativen Unterricht Nach vier Jahren Schulversuch werden von den Lehrpersonen erste Bilanzierungen vorgenommen, die bereits zum Teil in schriftlichen Zielvereinbarungen, beispielsweise zur Organisation und Qualität des Kooperativen Unterrichts, vorliegen und zunehmend ins Detail gehen. Diese Überlegungen gehen bisher noch stark von den Bedingungen und Bedürfnissen einer einzelnen Jahrgangsstufe aus und bedürfen in den nächsten Jahren der weiteren Abstrahierung und Zusammenfassung. Inwieweit sich dann tatsächlich für andere Schulen verallgemeinerbare Konzepte und Konsequenzen ergeben, wird der weitere Diskussionsprozess an den beiden Schulen zeigen. Bisher jedenfalls ist jede Jahrgangsstufe noch sehr auf die eigenen Bedürfnisse konzentriert. Dennoch lassen sich bereits Tendenzen erkennen, die hier in knapper Form vorgestellt und vorsichtig bewertet werden sollen und sich schwerpunktmäßig auf folgende Bereiche beziehen:
  • Einstellungen zur Integration und Kooperation
  • Planung und Organisation des Unterrichts
  • veränderte Lehrerrolle.

Generell ist die Bereitschaft zur Integration und Kooperation ein Stück weit "alltäglicher" geworden und die Möglichkeiten werden mehrheitlich durchaus positiv gesehen. Darüber hinaus besteht bei den stärker und länger involvierten Kollegen der Wunsch generelle organisatorische Konsequenzen zu ziehen. Hierbei wird die Existenz der A-Klassen, als Rückzugsmöglichkeit und separierende Unterrichtsform, grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Allerdings steht die starre Zuordnung dieser Schülergruppe zu ihrer Klasse dem Wunsch nach größerer individueller Flexibilität und Prozessorientierung beispielsweise beim Übergang einzelner Kinder mit Behinderungen in die anderen Klassen einer Jahrgangsstufe (z. B. i-Klassen) oder auch beim Wechsel in einzelnen Fächern - auch über die im Schulversuch festgelegte Anzahl von Kindern mit Behinderungen - vielfach zur Diskussion.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten gerade mit Kindern mit zusätzlichen Lernbehinderungen im integrativen und kooperativen Unterricht, die Lernziel different unterrichtet werden müssen, ist die Akzeptanz gerade dieser Gruppe von Schülern im Laufe der Jahre bei den Lehrern in allen Gesprächen erheblich gewachsen. Dennoch werden die Möglichkeiten und Grenzen für die Gruppe der Kinder mit Körperbehinderungen und die Gruppe der Kinder mit zusätzlichen Lern- und/oder Verhaltensstörungen nach wie vor unterschiedlich thematisiert.
Die Bereitschaft Kinder mit Behinderungen am integrativen Unterricht oder kooperativen Unterricht teilhaben zu lassen, wird derzeit immer noch häufig an den ausreichenden Fähigkeiten des einzelnen Kindes festgemacht. Generell scheinen die Rahmenbedingungen so zu sein, dass sie einer Integration und Kooperation, abgesehen von der Größe und Ausstattung der Räume - insbesondere an der Gesamtschule - bei den Lehrpersonen auf viel Akzeptanz stoßen. Beklagt wird allerdings der z.B. bei Krankheitsfällen häufig kurzfristig erfolgende Abzug der zweiten Lehrperson aus dem Unterricht. Längerfristige Planungen des Unterrichts werden hierdurch erschwert.
Die Planung und Organisation des integrativ-kooperativen Unterrichts erfolgt zunehmend auf mehreren Differenzierungsniveaus, was bei der Gestaltung der Arbeitsblätter beginnt und bei der individuellen Lehrerhilfe aufhört. Zunehmend werden in diese differenzierende Arbeit auch die Unterrichtshilfen eingebunden, die die Betreuungsarbeit falls möglich auch auf andere Kinder der Klasse ausdehnen. Planung und Organisation des Unterrichts erfolgen partnerschaftlich, wobei es durchaus einmal sein kann, dass ein Kollege mehr Material beisteuert als ein anderer. In einzelnen Stunden ist der Anteil Erwachsener (Lehrer plus Betreuer und Zivi) im Verhältnis zu der Anzahl der Kinder nach wie vor relativ hoch, wobei sich aber durch die stärkere Anbindung der Unterrichtshilfen an das gemeinsame Unterrichtsgeschehen aller Kinder die z.T. starke persönliche Bindung einzelner Kinder an "ihre" Betreuerin im Unterricht verschiedentlich etwas lockert und sich die Kinder stärker für Mitschüler öffnen. Verstärkt achten die Lehrkräfte offenbar auch auf die Förderung der Selbstständigkeit aller Schüler im Unterricht, wobei die Bereitschaft der Kinder zu eigenaktiven Handlungen, die über die konkrete und schnelle Bearbeitung einer gestellten Aufgabe hinausgehen, nicht die Regel darzustellen (insbesondere nicht mehr in der Gesamtschule). Verschiedentlich wird im integrativen und kooperativen Unterricht die Mitarbeit einzelner Schüler durch eine leistungsdifferente Zusammenarbeit verstärkt oder überhaupt motiviert.
Größere Anteile des Unterrichts werden nach wie vor im fragend-entwickelnd-Unterrichtsgespräch mit Phasen von Einzel- und Partnerarbeit durchgeführt. Wünschenswert wäre ein weiterer Ausbau der Anteile des eigenverantwortlichen Arbeitens, wie es beispielsweise der Wochenplanunterricht, das Stationenlernen und die Projektarbeit ermöglichen.
Im kooperativen Unterricht mischen sich im Gegensatz zum integrativen Unterricht die beiden Klassen nur bedingt. Obwohl die Kinder auch über die eigenen Klassengrenze hinaus untereinander erkennbar mehrheitlich ein gutes Verhältnis haben, bevorzugen es die Kinder in der Mehrheit der Fälle im Kooperativen Unterricht - zumindest bei dem derzeitigen stundenmäßig eher geringen Anteil - neben einem Kind aus der "eigenen" Klasse zu sitzen. Wie sich dieses Verhalten bei einer Ausweitung und regelmäßigeren Unterrichtung in der Kooperation möglicherweise verändern wird, bleibt in den kommenden Jahren spannend zu beobachten.
Bisher fehlende Verbindlichkeiten insbesondere zum Umfang des Kooperativen Unterrichts erschweren eine kontinuierliche Ausweitung und größere Planungssicherheit für Lehrer wie für Schüler. Lehrerhandeln erfolgt im integrativ-kooperativen Unterricht stets im Spannungsfeld, der Unter- bzw. Überforderung der Kinder. Erst mit fortschreitender Jahrgangsstufe und einer subjektiv empfundenen erfolgreichen Arbeit scheint sich eine gewisse Sicherheit bei den Lehrpersonen hinsichtlich des eigenen Handelns einzustellen. Zur Umsetzung binnendifferenzierender Maßnahmen wird nach meinen Beobachtungen die Ressource einer 2. Lehrkraft oder auch die Unterrichtshilfe zunehmend effektiver genutzt.
Der dritte Punkt auf den ich an dieser Stelle in Bezug auf das Lehrerhandeln eingehen möchte, ist die Veränderung der Lehrerrolle, die im integrativ-kooperativen Unterricht auch bei den Lehrern stärker auf Gemeinsamkeit ausgerichtet ist. Unterrichtsplanung und Durchführung erfolgen in vielen Fällen gemeinsam und bedürfen daher der gemeinsamen Absprache. Meines Erachtens entwickelt sich diese Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren in den meisten Fällen sehr positiv, weil eine grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit erkennbar ist. Hierbei sind jedoch die Voraussetzungen einzelner Lehrerteams zur Zusammenarbeit zum Teil doch sehr unterschiedlich, was sich auch in der abweichenden Unterrichtsplanung und -organisation der einzelnen Teams widerspiegelt. Insbesondere die Planung und Durchführung von eigenverantwortlichem Lernen der Schüler kann bisher nicht von allen Lehrern gleichermaßen realisiert werden. Dies hat zur Folge, dass im Grunde zu jedem neuen Schuljahr mit der neuen Zusammensetzung der Teams erst die konkreten Bedingungen der Integration und Kooperation in einer Jahrgangsstufe neu verhandelt und entschieden werden können und müssen. Hier wäre eine gemeinsame sowie kollegiumsinterne Entwicklung zukünftig anzustreben (Vergleichbarkeit und Qualitätsstandard).

Auf der Seite der Schüler wird die Integration und Kooperation in den A- und B-Klassen mittlerweile ebenfalls zunehmend als "normal" erlebt, wobei die Annäherung der Kinder mit und ohne Behinderungen unterschiedlich nah ist. Hilfsbereitschaft und Verständnis schaffen jedoch in allen Klassen ein Klassenklima, welches konstruktives Lernen mit ganz wenigen Ausnahmen sehr gut möglich macht (nach Meinung der Lehrer ist das Klima in den C-Klassen abweichend).
Die Übernahme der Helferrolle bzw. der Tutorenrolle im Unterricht wird nach meinen Beobachtungen von den Kindern, die sich dazu bereit erklären oder die dazu aufgefordert werden, bereitwillig und mit Engagement übernommen. Allerdings erleben die Schüler die nur zeitweise und unregelmäßige Kooperation auch als anstrengend. Es werden größere Flexibilitätsanforderungen (z.B. wechselnde Gruppengröße, jeweils besondere Bedingungen einer Lerngruppe) an die Kinder gestellt. Die Kinder der B-Klassen erleben die größere Rücksichtnahme der Lehrer gegenüber den Kindern der A-Klassen zum Teil als eigene Diskriminierung und würden sich ebenfalls mehr Beteiligung bei der flexiblen Gestaltung und Planung der Zusammenarbeit mit der anderen Klasse wünschen. Zudem sind die Kinder ohne Behinderungen der Meinung, dass unterrichtliche Hilfen für Kinder mit Behinderungen stärker nur nach vorheriger Einforderung durch diese Kinder erfolgen sollten.
Im letzten Schuljahr wurden mit Hilfe eines "Fragebogens zur Erfassung von Dimensionen der Integration von Schülern (FDI 4-6)" Schüler kooperierender Klassen der 3., 7. und 8. Jahrgangsstufe an zwei unterschiedlichen Zeitpunkten mit diesem Instrumentarium befragt. Einmal im Anschluss an eine Unterrichtsstunde ohne Kooperation der Klassen A + B und zum zweiten im Anschluss an eine erfolgte gemeinsame Kooperationsstunde. Insgesamt wurden 80 Schüler befragt. Der genannte Fragebogen hat 3 Untertests:
  1. zur Sozialen Integration: Einschätzung der Beziehungen zu den Mitschülern
  2. zur Emotionalen Integration: Einschätzung des eigenen Befindens in der Schule
  3. zur Leistungsmotivationalen Integration: Einschätzung der eigenen Fähigkeiten.

Vergleicht man die Ergebnisse der beiden Befragungen (ohne und mit erfolgter Kooperation) so erreichen die Kinder im Bereich der Sozialen Integration (SI = Beziehung zu den Mitschülern) die höchsten Mittelwerte, gefolgt von der Einschätzung der eigenen Leistungen (Leistungsmotivationale Integration) und der Emotionalen Integration (Einschätzung des Befindens in der Schule). Dies bedeutet, dass die Kinder ihr Verhältnis zu den Mitschülern der jeweiligen Klassengruppe als deutlich positiver einschätzen als ihr Verhältnis zur Schule und sich wohl eher aufgrund des Befindens in der eigenen Klasse als in der Schule emotional "geborgen fühlen".
>>>> evtl. Folie Mittelwerte gesamt

Betrachtet man die für die drei Untertests (soziale, emotionale und leistungsmotivationale Integration) die Mittelwerte für die einzelnen Jahrgangsklassen, so liegen diese nach erfolgter Kooperation nur bei den Schülern der B-Klassen in einem oder maximal zwei Fällen jeweils geringfügig unter dem Wert der erreicht wurde im Anschluss an eine Befragung ohne Kooperation mit den A-Klassen. Diese Abweichungen sind jedoch im statistischen Sinne nicht als signifikant zu bezeichnen. Jedoch unterscheiden sich die positiven Bewertungen zwischen einzelnen Klassen und auch zwischen einzelnen Kindern zum Teil erheblich, wie wir gleich noch sehen werden. Unterschiede gibt es auch zwischen den Jungen und Mädchen der untersuchten Klassen, wobei sich die Mädchen insbesondere in ihrer positiven Bewertung der emotionalen Befindlichkeit erheblich von den Jungen unterscheiden. Generell sind die Bewertungen zum Zeitpunkt Unterricht mit und ohne Kooperation sowohl in Bezug auf das Geschlecht als auch in Bezug auf die Unterscheidung Kinder mit und ohne Förderbedarf über die Jahrgangsgrenzen hinaus als sehr homogen zu bezeichnen.
>>>>> evtl. Folie Unterschiede FDI Geschlecht + Förderbedarf
Dennoch gibt es wie bereits angedeutet größere individuelle Unterschiede, wie folgendes Beispiel einer Jahrgangsstufe (A-/B-Klasse) für die Soziale Integration zeigt.
>>>> Folie Beispiel 1 und 2 SI
Zum einen unterscheiden sich beide Klassen in der Tendenz hinsichtlich der positiven Wertung. In der unteren Klasse erreichen die Kinder durchschnittlich eine höhere Punktzahl als in der oberen Klasse. Zum anderen wird anhand der beiden Beispiele, welche mit einem Pfeil gekennzeichnet sind deutlich, dass das Kind im oberen Fall in Bezug auf die soziale Integration zu den Mitschülern im Anschluss an die Kooperationssituation erkennbar weniger zufrieden ist. Im unteren Fall ist die Bewertung eines Schülers im Gegensatz zu seinen Mitschülern extrem abweichend und dies sowohl mit als auch ohne Kooperativen Unterricht.
Diese Ergebnisse bestätigen die Aussagen der Lehrer beider Schulen, die besagen, dass die Situation eines jeden Schülers/einer jeden Schülerin sowohl Prozess begleitend als auch sehr individuell betrachtet werden muss und Generalisierungen, die über einen konkreten Jahrgang hinaus gehen nur eingeschränkt getroffen werden können.

4. Derzeitiges Fazit und Ausblick (in Form von Thesen)
  • Schulübergreifend (Grundschule und Mittelschule) sollte langfristig an einem einheitlichen aufeinander aufbauenden methodischen und didaktischen Handeln gearbeitet werden. Eine gemeinsame Identität aller Kollegen der Modellschulen Birkenwerder würde den Prozess der Weiterentwicklung noch stärker beflügeln (Aufgabe der Schulleitungen und Projektgruppen).
  • Organisatorische Hilfestellungen zur praktischen Umsetzung könnten Helfen den Prozess zu mehr Individualisierung und Differenzierung zu beschleunigen. Vor allem in den A-Klassen sollte verstärkt an der Selbständigkeit der Schüler gearbeitet werden.
  • Hierbei sollte an der Gesamtschule die Fachleistungsdifferenzierung noch einmal überdacht werden.
  • Zielsetzung sollten verbindliche Absprachen und klassenspezifische bzw. jahrgangsspezifische Zielvereinbarungen (auch Teilziele) sein. In die Entscheidungsfindung über das Ausmaß an Kooperativem Unterricht sollten die Schülerinnen und Schüler einbezogen werden. Die Überprüfung und prozesshafte Weiterentwicklung dieser Zielvereinbarungen über einen längeren Zeitraum könnte evtl. durch die Schulversuchsleitung evaluiert werden.
  • Es ist kurz- und mittelfristig an einem gemeinsamen Konzept für den Kooperativen Unterricht zu arbeiten. Dieses sollte innerhalb des Schulversuchs mehr Anerkennung und Wertschätzung durch die Schulversuchsleitung, die Schulleitung und das Ministerium erfahren. Stundenpläne und der Lehrereinsatz sollten möglichst so aufeinander abgestimmt sein, dass eine Kooperation überhaupt möglich ist.
  • Die Ressource der Betreuerinnen, Zweitlehrerinnen und Zivis ist nicht befriedigend genutzt. Es sollte gemeinsam beraten werden, wie der Unterricht so geplant werden könnte, dass die Unterrichtsplanung flexibler erfolgen konnte. Die Ressource Zweitlehrer sollte zwischen den einzelnen Klassen anders und bedarfsgerechter aufgeteilt werden. Die Rolle der Betreuerinnen sollte für die Planung und Durchführung von Unterricht mehr als Ressource für die ganze Klasse genutzt werden. Kinder mit Betreuerin könnten so besser lernen Hilfen gezielt nur dort einzufordern, wo sie unbedingt nochwendig sind.
  • Die Ressource Kinder und Jugendliche (im Sinne von innovativer Kraft) ist meines Erachtens noch nicht ausreichend in die Planungen und Entscheidungen einbezogen. Auffallend ist, dass die von mir befragten Kinder und Jugendlichen zum Teil über weitreichende Kompetenzen verfügen und ihre Situation (individuelle Möglichkeiten sowie Grenzen) realistisch einschätzen. Als ungerecht beschriebene Handlungsweisen sollten mit den Klassen noch einmal aufgearbeitet werden (stärkerer Dialog mit den Jugendlichen.
  • Grenzen suchen: individuelle und organisatorische Grenzen noch stärker suchen und dabei aber persönliche Grenzen des Einzelnen nicht verletzten. Gleichzeitig könnten hierbei aber die Möglichkeiten, die ein Schulversuch bietet, meines Erachtens noch konstruktiver ausgeschöpft werden. Hierbei sollten kollegiumsinterne Konfliktpunkte noch offener diskutiert werden.
nach oben


Grußwort des Staatsekretärs des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, Herrn Frank Szymanski
Anlässlich der Fachtagung zum Schulversuch "Die integrativ-kooperativen Schulen in Birkenwerder" - Schulforum am 15.03.03

Auch wenn heute bereits die 5. Fachtagung zum Schulversuch in Birkenwerder veranstaltet wird, gibt es in diesem Jahr einen besonderen Anlass, den wissenschaftlichen und pädagogisch-fachlichen Dialog zu suchen und mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Schulen sowie Schulrätinnen und Schulräten zusammenzukommen:
das SCHULFORUM soll Auftaktveranstaltung zur Verstärkung der integrativ-kooperativen Arbeit im Land Brandenburg werden.

Die Kultusministerkonferenz hat in ihren Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung schon im Mai 1994 die besondere Bedeutung der kooperativen Arbeit herausgestellt. Dort heißt es:
"Kooperative Formen der Förderung und Unterrichtung erschließen allen Beteiligten Möglichkeiten zur wechselseitigen Annäherung und zur Erfahrung von mehr Selbstverständnis im Umgang miteinander .... Die Durchlässigkeit der Schularten und ihrer Bildungsgänge, die Erhöhung gemeinsamer Unterrichtsanteile und der Wechsel von Schülerinnen und Schülern aus den Sonderschulen in allgemeine Schulen werden hierdurch begünstigt."

Anliegen dieser Diskussion muss also die quantitative und qualitative Verstärkung der integrativ-kooperativen Arbeit im Land werden.
Schulen mit einem ähnlichen Profil sollen zur Zusammenarbeit motiviert werden, Schulstrukturentwicklungen im Förderschulbereich sollen so gesteuert werden, dass sich Schulnetze herausbilden, die die Erfahrungen zum Beispiel der Schulen in Birkenwerder effektiv nutzen.
Wie das praktisch und nachhaltig gestaltet werden kann, darauf will ich noch später eingehen. Zunächst vorab einige Gedanken zum Schulversuch hier in Birkenwerder, der mit dem Modell integrativ-kooperativ arbeitender Jahrgangsstufen in der Grundschule in Klasse 4 und in der Gesamtschule in Klasse 10 angekommen ist.

Einige der hier Versammelten werden sich noch sehr genau an die vier alten Schulen in Birkenwerder erinnern, von denen heute keine mehr in der ursprünglichen Form besteht. Vielleicht überrascht das die Gäste aus anderen Teilen des Landes Brandenburg, die heute zum ersten Mal in Birkenwerder sind. Es ist in der Tat so, dass der Landkreis Oberhavel und die Gemeinde Birkenwerder (als Träger der Schulen), das staatliche Schulamt und natürlich die Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam mit den Eltern und den Schülerinnen und Schülern die Chance genutzt haben, um Schule neu zu denken.

Für den Schulversuch in Birkenwerder kann festgestellt werden, dass das pädagogische Innovationspotential des gemeinsamen und kooperativen Unterrichts zu einer grundsätzlichen Veränderung von Schulqualität geführt hat. Die Grundidee, aus einer Förderschule und einer allgemeinen Schule eine konzeptionell weiterentwickelte Schule zu gestalten, d.h. Gutes bewahren und Neues entstehen zu lassen, war richtig und im übrigen sind die beiden integrativ-kooperativen Schulen noch nicht am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen, Die Kollegien der Grund- und Gesamtschule sind weiter in der Entwicklung, ringen weiter um die optimalen Antworten auf die Anforderungen der Schülerinnen und Schüler.

Wir verstehen gemeinsamen und kooperativen Unterricht als einen Entwicklungsauftrag für die ganze Schule. Im Rahmen des Schulversuchs wurde deshalb von Anfang an auf einen bewusst gestalteten Prozess innerer und äußerer Schulentwicklung gesetzt. Die Lehrerinnen und Lehrer in Birkenwerder verfügen mittlerweile über einen reichen Erfahrungsschatz, von dem andere Schulen profitieren können. Im Rahmen des Schulversuchs stehen die Grundschule und die Gesamtschule vor der Aufgabe, Qualitätskriterien für die Arbeit einer integrativ-kooperativen Schule zu benennen. Ähnlich wie mit dem Handbuch 1 des Schulversuchs FLEX liegen die Qualitätskriterien dann allen Schulen vor. Der Begriff "integrativ-kooperative Schule" soll sozusagen zu einem "Label" für Qualität und für die Einhaltung verbindlicher Standards im Land Brandenburg werden.

Die Chancen für die Modellwirkung des Schulversuchs in Birkenwerder sind gut. Bei zurückgehenden Schülerzahlen und einem größtenteils ländlich strukturierten Raum stellt sich unweigerlich die Frage nach der Perspektive von einigen Förderschulen. Es entsteht - besonders im ländlichen Raum - immer öfter die Notwendigkeit, kleine Förderschulstandorte aufzugeben und neue Formen der integrativ-kooperativen Arbeit zu entwickeln. Die Zusammenführung von Förderklassen mit Grundschulen oder Schulen der Sekundarstufe I könnte hier eine Möglichkeit sein, der demographischen Entwicklung zu entsprechen.

Ich sehe gute Möglichkeiten den Transfer der Ergebnisse von Birkenwerder auf die Arbeit an anderen Schulen zu befördern.

Die ernüchternden Ergebnisse von PISA führen darüber hinaus zur kritischen Auseinandersetzung mit der Frage, wie in den allgemeinen Schulen noch besser die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Problemen im Lernen, in der Sprache oder im Verhalten gestaltet werden kann. Wie kann Sonderpädagogik - ohne zusätzliche Ausgrenzung schwacher Schülerinnen und Schüler - die Regelschule in ihren Aufgaben unterstützen. Das positive Entwicklungsziel für den Unterricht in der Primarstufe und in der Sekundarstufe I ist ein individualisierendes Konzept, das gleichermaßen effiziente und kooperative Lernarrangements im Blick hat. Schulischem Misserfolg kann wirksam begegnet werden, wenn die Einführung veränderter Lehr- und Lernformen mit einer neuartigen Gestaltung der Arbeitsorganisation an der Schule verbunden ist. Gemeinsamer und kooperativer Unterricht braucht ein weiterentwickeltes professionelles Rollenverständnis, zu dem ganz selbstverständlich auch die Arbeit im Team gehört. Im Schulversuch Birkenwerder zeigt sich, dass das Miteinander der Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf besonders gut gelingt, wenn Lehrerinnen und Lehrer im Jahrgangsstufenteam erfolgreich zusammenarbeiten.

Diese Erkenntnisse machen Mut.

Gegenwärtig diskutieren wir daher im Ministerium für Bildung, wie wir sinnvoll Verbindungen zwischen Schulen herstellen können, die in ähnlichen Ausgangssituationen sind, wie ehemals die Schulen in Birkenwerder.

Wir hoffen, dass bei diesem Bemühen, die beiden Versuchsschulen in Birkenwerder, die Gesamtschule in Friesack und die Bauhausschule in Cottbus als Leuchtturmschulen Unterstützer für andere Schulen werden können, Unterstützer für die Schulen, die als integrativ-kooperative Schulen im Land Brandenburg arbeiten wollen.
Auch andere Schulen, die bereits integrativ-kooperativ arbeiten, sind eingeladen, sich aktiv zu beteiligen, eigene Kompetenzen einzubringen und von anderen Schulen zu lernen. Das betrifft besonders auch die Grundschulen mit angegliederten Förderklassen für Sprachauffällige.

Diese Diskussion um die Ausweitung der integrativ-kooperativen Arbeit lebt von Offenheit: der Auftakt wird heute in den Arbeitsgruppen erfolgen.

Lassen sie mich noch kurz zu den Perspektiven der Arbeit einiges sagen:

Ich würde mir wünschen, dass die Diskussion zur integrativ - kooperativen Arbeit sich so dynamisch entwickelt, dass sich in zeitlicher Nähe - ich denke da an das Frühjahr 2004 - die Notwenigkeit ergibt, dieser Diskussion einen institutionellen Rahmen - einer Netzwerkstruktur - zu geben, wie wir sie vom Reformkonzept "kleine Grundschule" her kennen.

Im Netzwerk könnten dann:
  • bereits bestehende integrativ-kooperative Schulen,
  • Grundschulen mit angegliederten Klassen für Sprachauffällige und
  • Schulen, die sich in Perspektive zu integrativ-kooperativen Schulen entwickeln werden
mitarbeiten.

Es könnten sich Teilnetzwerken bilden, die sich auf bestimmte sonderpädagogische Fachsparten konzentrieren.

In diesem Prozess könnten sich dann auch bestimmte Aufgaben für die oben schon beschriebenen Leuchtturmschulen ergeben:
  • Sie erstellen die Qualitätskriterien.
  • Sie stehen als Konsultationsschulen für die Primarstufe und Sekundarstufe I (z.B. für Unterrichtsbesuche und Beratungsgespräche mit den Lehrerinnen und Lehrern) zur Verfügung und
  • sie bieten landesweit Beratung sowie Fortbildung an.
Das MBJS hat Frau Düring gebeten, diese Diskussion, die in eine Netzwerkstruktur von integrativ-kooperativen Schulen münden kann, zu begleiten. Sie ist gebeten, als Ansprechpartnerin hier von der Gesamtschule Birkenwerder aus, für die landesweite Unterstützungsarbeit zur Verfügung zu stehen.

Frank Szymanski
Staatssekretär im MBJS des Landes Brandenburg
nach oben


Vortrag auf der bundesweiten Fachtagung zum "Gemeinsamen Unterricht in der Grundschule und in der Sekundarstufe I" am 16. April 02

„Die Weichen werden am Anfang gestellt!“ oder
Der Weg von einer Förderschule zum gemeinsamen Unterricht in der Grundschule über ein integrativ-kooperatives Modell


Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

stellen Sie sich einen Ort im Bundesland Brandenburg einige wenige Jahre nach der politischen Wende vor. Der Ort liegt nördlich von Berlin im Landkreis Oberhavel, heißt Birkenwerder und hat vier Schulen. Eine Grundschule und eine Gesamtschule sowie eine Förderschule für Körperbehinderte Grundschule und eine Förderschule für Körperbehinderte Sekundarstufe I/II. Wenn Sie heute im Jahr 2002 in diesen Ort fahren, werden Sie keine dieser vier Schulen wiederfinden. Was ist geschehen?

1. Wie man aus einem Problem eine Chance macht

Die erdrutschartigen Veränderungen in der Schullandschaft von Birkenwerder wurden durch zweierlei ausgelöst. Zum einen gab es nach 1990 vor allem in der Förderschule für Körperbehinderte Sekundarstufe I/II den Wunsch, die Schule für nichtbehinderte Schülerinnen und Schüler zu öffnen und pädagogisches Neuland zu betreten.
Zum anderen sah sich der Landkreis als Träger beider Förderschulen vor eine Entscheidung gestellt, denn die demografischen Prognosen waren eindeutig: Der Nachwende-Geburtenknick und die bildungspolitische Entscheidung für den gemeinsamen Unterricht würden über kurz oder lang die Förderschulen in Birkenwerder erreichen. Man diskutierte über mögliche Schulschließungen oder über die Zusammenlegung mit einer Förderschule für Geistigbehinderte.
Sie können sich sicherlich vorstellen, dass damit eine spannungsgeladene Zeit begann, in der die verschiedensten Perspektiven diskutiert und unterschiedlichste Interessen eine Rolle spielten. In der bewährten Form eines „runden Tisches“ setzten sich dann alle die für die Schulen in Birkenwerder Verantwortung hatten, also Lehrerinnen und Lehrer, die Schulträger und die Schulaufsicht, zusammen und es entstand die Idee, aus den vier Schulen zwei neue zu bilden.

Nachdem das Modell der integrativ-kooperativen Schulen auf dem Papier stand, sollten dem alle vier Schulkonferenzen zustimmen. Damit begann ein komplizierter Aushandlungsprozess, der von mehr oder weniger offen ausgesprochenen Interessenkonflikten, von Zeiten der Stagnation und Momenten des Scheiterns und vor allem aber von dem Wunsch geprägt war, diese Krisensituation als einmalige Chance zu nutzen und Schule (im Sinn von Hartmut von Hentig) neu zu denken.
Zeitstrahl
Sie können anhand der Grafik sehen, dass Schulentwicklung Zeit braucht: Entscheidungs- und Bedenkenträger gewinnen, die Kritiker und Zweifler anhören, über das Machbare und das Unmögliche diskutieren und den gemeinsamen Konsens herausfinden - das hat immerhin mehrere Jahre gebraucht. Im Ergebnis dieses komplizierten Prozesses standen die Beschlüsse der Schulträger Landkreis Oberhavel und Gemeinde Birkenwerder, ihre Schulen zu schließen und eine integrativ-kooperative Grundschule und eine integrativ-kooperative Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe zu errichten.

2. Wie man institutionelle Grenzen auflösen und eine Zukunftsperspektive für mehr sonderpädagogische Kompetenz in allgemeinen Schulen entwickeln kann

Sehr bald hatte sich das Ministerium für Bildung unterstützend und steuernd eingebracht. Die Idee einer integrativ-kooperativen Schule sollte in Birkenwerder zu einem Bildungsangebot entwickelt werden, dass von Schülerinnen und Schülern mit Körperbehinderungen von der Primarstufe bis in die Sekundarstufe II besucht werden kann.
Von beiden Schulen das Beste bewahren
Mit der Entscheidung für einen Schulversuch geht es nun um Schulentwicklungsplanung, d.h. um ein positive Zukunftsvision für andere Schulen und Schulträger im größtenteils ländlich strukturierten Raum unseres Bundeslandes und um die Erfahrung, wie Kooperation und Integration in einer allgemeinen Schule in einem schulorganisatorisch flexiblen Modell praktiziert werden können.

Spätestens jetzt sollte ich Ihnen das Modell näher vorstellen und ich will dies am Beispiel der Grundschule tun. Das integrativ-kooperative Schulmodell startete 1998 mit den neu einzuschulenden Kindern in die Klassenstufe 1. Es wurden die 1a mit ausschließlich schwer körperbehinderten und mehrfachbehinderten Kindern gebildet, die fast alle nach dem Rahmenplan der Allgemeinen Förderschule unterrichtet werden, außerdem die 1b als Klasse mit gemeinsamen Unterricht (übrigens auch mit einem Kind mit Down-Syndrom) und die 1c als Klasse ohne gemeinsamen Unterricht gebildet. Durch die Auflösung der Förderschule für Körperbehinderte und dem „Bestandsschutz“ für die bereits gebildeten Klassen wurden diese den anderen Klassenstufen der Grundschule zugeordnet.

Ich bin vor kurzem gefragt worden, ob wir mit dem integrativ-kooperativen Modell den bayrischen Weg der Integration gehen wollen. Ganz ausdrücklich möchte ich mich von den Intensionen konservativer Bildungspolitik abgrenzen. In unserem Schulversuch verstehen wir Kooperation als innerschulischen Weg hin zum gemeinsamen Unterricht und als niederschwelliges Angebot für integrationsskeptische Eltern, damit sie zunächst eine Entscheidung für die allgemeine Schule treffen können.

Die Grundstruktur mit Kooperationsklassen und Klassen mit gemeinsamen Unterricht stellt uns vor einige Herausforderungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Dazu gehören Fragen wie:
  • An welche Grenzen kommen wir, wenn die im kooperativen Unterricht angebahnten sozialen Kontakte wieder abgebrochen werden müssen?
  • Wie kann es uns gelingen, die Kooperation über einzelne Unterrichtsprojekte sowie Musik, Kunsterziehung und Sport hinaus zu entwickeln?
  • Führt der kooperative Unterricht wirklich zu neuen Formen der Lernorganisation, in denen nicht erneut die Trennung in möglichst homogenen Lerngruppen, sondern fächerübergreifendes, binnendifferenzierendes Lernen das Ziel der Lehrerinnen und Lehrer ist?

Bei allen Schwierigkeiten: der gemeinsame Unterricht bleibt das erklärte Ziel! Bislang wechselten in der Grundschule Birkenwerder drei Kinder in den Schulversuchsjahrgängen dauerhaft von der Kooperationsklasse in den gemeinsamen Unterricht. Offen gestanden habe ich meine Zweifel, ob dieser Schritt auch von einer Förderschule in eine wohnortnahe Grundschule gelungen wäre.

3. Auf welchem Fundament steht das neue Haus oder was macht die integrativ-kooperative Grundschule in Birkenwerder aus?

Mit jedem neuen Jahrgang kann eine Kooperationsklasse oder –gruppe (also auch weniger als sechs Schülerinnen und Schüler mit Körperbehinderungen) gebildet werden, wenn der Schwere der Behinderungen und dem daraus folgenden sonderpädagogischen Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht noch nicht entsprochen werden kann.
Alle anderen Grundschulklassen sind grundsätzlich für den gemeinsamen Unterricht offen, wobei da der bekannte Vorbehalt der personellen, räumlich-sächlichen Möglichkeiten gilt.
Die Klassenleiterinnen und die Sonderpädagogin bilden das Jahrgangsstufenteam und nehmen ihre Verantwortung für die Kinder der Klassenstufe gemeinsam war.
Wenn die Mehrheit der Eltern zustimmt, kann bis zur Klassenstufe 5 verbal bewertet werden.
Für den Schultag wurde ein neuer Zeitplan entwickelt, den ich Ihnen hier am Beispiel der Klassenstufe zwei vorstellen möchte. Er zeigt, dass gemeinsamer und kooperativer Unterricht für alle ein Gewinn sein kann.
Ein Wochentag in der Grundschule

4. Wie gemeinsamer und kooperativer Unterricht zu einem Erfolgskonzept werden kann

In diesem Jahr feiert der Schulversuch Bergfest. Die Anmeldezahlen für die Gesamtschule (nach wie vor doppelt so viele wie Plätze) und erste Anträge von Eltern aus anderen Grundschule-Bezirken geben uns Recht: Eine integrativ-kooperative Schule kann zu einem Erfolgsmodell werden, wenn sich alle gemeinsam für eine Schule einsetzen, die an den individuellen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientiert ist. Eltern nennen uns in Gesprächen immer wieder zwei entscheidende Gründe für ihre Schulwahl:
  • das soziale Klima in der Schule sowie
  • ihre Wertschätzung für ein Kollegium, das sich bewusst mit der Qualität von Unterricht und Schule auseinandersetzt.

Also dürfte die sonderpädagogische Förderung in allgemeinen Schulen auch für die Bildungspolitikerinnen und –politiker ein attraktives Modell in der Diskussion um Qualität von Schule sein! Für Birkenwerder kann ich sagen, dass das pädagogische Innovationspotential des gemeinsamen und kooperativen Unterrichts zu einer grundsätzlichen Veränderung von Schulqualität geführt hat und wir sind längst nicht am Ende unserer Möglichkeiten angekommen.

Das Modell der integrativ-kooperativen Schulen in Birkenwerder zeigt, dass sich die Sonderpädagogik zum Gewinn aller in die allgemeine Schule integrieren kann. Die Grundschule Birkenwerder ist ein Kompetenzzentrum für die sonderpädagogische Förderung, weil:
  • es die Chance zum gemeinsamen Lernen von Kindern mit und ohne Behinderungen gibt,
  • sich SonderpädagogInnen und GrundschullehrerInnen der Teamarbeit verpflichtet fühlen und über ein pädagogisches Leitbild die Standards ihrer Arbeit definieren und regelmäßig evaluieren und
  • weil zum Gesamtkonzept auch die Sozialarbeiterin mit ihrer Schulstation, die Physiotherapeutin und das sonstige pädagogische Personals, die Arbeitsstelle Psychomotorik und der Förderverein mit den engagierten Eltern gehören


5. Warum wir einen bewussten Prozess von Schulentwicklung für den Königsweg halten

Lange Zeit gab es in den Konferenzen eine klare Sitzordnung: Auf der einen Seite saßen die Lehrerinnen und Lehrer der alten Förderschule zusammen und auf der anderen Seite die Lehrerinnen und Lehrer der Grundschule. Vorurteile und Ängste zwischen Förderschule und Grundschule wurden im wahrsten Sinne sichtbar. Zusammengebracht hat beide „Fraktionen“ die konkrete Zusammenarbeit und die Chance, voneinander zu lernen.

Veränderungen im Denken wurden möglich, weil wir von Anfang an auf den Dialog setzten. Das Ergebnis von manchmal auch nicht ganz einfachen Rollen- und Kompetenzklärungsprozessen drückt sich z.B. in dem gemeinsamen Leitbild des Kollegiums aus.

Pädagogisches Leitbild
Damit ist noch lange nicht alles gut und zur Zufriedenheit gelöst..., aber mit einem bewussten Prozess von pädagogischer Schulentwicklung, d.h.
  • mit Gruppen, die themenbezogen arbeiten und Prozesse steuern und
  • mit regelmäßiger Rückversicherung über die schulinterne Evaluation
schaffen wir es, dass aus Lehrerkollegien Lernkollegien werden. In diesem Sinne bin ich ganz sicher, dass der Schulversuch in Birkenwerder und die vielen anderen guten Modelle für den gemeinsamen Unterricht als Erfolgskonzept die Skeptiker überzeugen und viele neue Unterstützer finden wird.

Katrin Düring
Steege 2a, 14641 Perwenitz
nach oben